Wozu denn noch
Es scheint alles noch nicht so lange her zu sein. Jedes Wochenende war ich auf einer anderen Bühne. Manchmal mit Band und heulenden Verstärkern, manchmal ganz alleine mit Akustik-Gitarre. Ich war in meinem Element, wenn Menschen unterhalten waren. Wenn Menschen mitgesungen haben, und offensichtlich glücklich waren. Es war jedes Mal schlimm, wenn dann ein solcher Abend vorbei war, deswegen habe ich auch jede Chance ergriffen es gleich wieder zu machen. Die Größe eines Events war eigentlich nie das Maßgebende für mich. Wichtig war, dass ich spielen und singen durfte.
Es gab tatsächlich Tage, an denen ich bei 3 verschiedenen Events aufgetreten bin. Und - jeder der schon mal einen Auftritt hatte, kennt das - ein Auftritt ist in etwa so wie ein Wohnungsumzug. Man packt das ganze Equipment ins Auto, manchmal in den LKW, und fährt zum Auftrittsort. Dort schleppt man alles rein, Aufbauen, Einstellen, nie wirklich zufrieden sein, und oftmals noch mit total verdreckten Fingern und durchgeschwitzten Klamotten gleich weiter auf der Bühne bleiben. Nach dem letzten Ton, dann schnell noch etwas trinken, kurzen Smalltalk mit den Menschen halten, und schon wird wieder abgebaut und langsam aber sicher, alles wieder im Fahrzeug verpackt. Nicht selten dann am nächsten Tag vor dem Aufstehen, alle Knochen sortieren und mit einer 800er-Ibuprofen aus dem Bett klettern. Schmerzen - aber viele gute Erinnerungen an den Auftritt von gestern.
Das eigentlich total verrückte an der ganzen Sache ist ja, dass es für mich extrem schwer ist, unter Menschen zu sein. Aber irgendwie war da so ein imaginärer Schutzschild, der mich vor den Menschen beschützt hat. Musik hat mir und meiner Seele immer gutgetan. Dann hat sich irgendwann mein Körper noch lautstarker zu Wort gemeldet.
Krönend darin, dass ich eines Tages im Bett lag und nicht mehr aufstehen konnte. Das war irgendwann 2016.
Das war für mich in der Retro-Perspektive der Tag, an dem alles anders wurde.
Dabei wollte ich doch immer noch so vieles erreichen und machen. Der Tag war nicht das Ende, aber es war der gefühlte Anfang vom Ende.
Okay, Ende hört sich doch irgendwie zu dramatisch an. Anfang großer Veränderungen in meinem Leben.
Für mich begann eine bis heute andauernde Karussell-Schlitten-Fahrt. Hunderte Klinikaufenthalte mit Operationen und "Hast-Du-nicht-gesehen!" Und trotzdem immer wieder den Drang zurück auf die Bühne.
Gerade bei den Klinikaufenthalten war immer eine Gitarre dabei. Das habe ich schon als Kind so gemacht. Musik war immer ein Schlüssel zu einer anderen Welt für mich.
Es hat mir über vieles hinweggeholfen. Und es war auch irgendwo aufbauend, wenn dann zum Beispiel die Krankenschwestern die Zimmertüre aufgemacht haben und gesagt haben, dass sie die Musik hören wollten. Oder ein Arzt am Bett stand und gefragt hat, ob ich nicht auch was Lynryd Skynryd spielen könnte. Mir war es immer eigentlich egal, was ich gespielt habe. Wichtig war für mich, dass es Menschen erreicht hat. Wenn ich gemerkt habe, dass es Menschen berührt, dann war ich auch glücklich.
Und dann habe ich gelernt, dass ich Menschen auch ganz anders berühren kann.
Songs, die irgendwie mit Verlusten zu tun haben, scheinen bei Menschen eine Art Mitgefühl auszulösen. Ich fing an, das auch zu machen. Jeder Mensch hat jemanden verloren. Und viele trauen sich nicht, daran zurückzudenken. Ich weiß wirklich nicht mehr, wo ich das gehört hatte, aber es hat sich in meinem Kopf förmlich eingebrannt: "Als Musiker Menschen zum Lachen zu bringen, und zum Mitsingen, das ist durchaus eine Art von Können. Die oberste Disziplin ist aber, Menschen zum Weinen zu bringen!"
Ich hatte immer in vielen meiner Lieder über Verluste geschrieben. (Jonas, Don't loose your Faith, All the Angels, So many Things....) Dann lief mir auf einmal das Stück von Andreas Gabalier über den Weg "AMOI SEAG MA UNS WIEDA" (Keine Ahnung, ob ich das richtig geschrieben habe? Mit dem Tag, an dem ich das Lied hörte, wollte ich es unbedingt spielen. Und noch am selben Tag war es mein letztes Stück auf der Bühne. Ich weiß nicht mehr, warum ich es gemacht habe, aber ich habe da direkt damit angefangen, dass ich das Publikum aufgefordert habe, aktiv an jemanden zu denken, den Er/Sie verloren hat, und demjenigen noch schnell zuzurufen, dass man sich irgendwann einmal wiedersieht. Seit dem Tag weiß ich aber, dass ich es auch schaffe Menschen zum Weinen zu bringen. Und das Verrückte ist, dass es vom Publikum gefordert wird.
Auftritte habe ich jetzt schon lange keine mehr gespielt. Na ja - okay - ich spiele in unserer Gemeinde im Worship-Team in den Gottesdiensten. Ja und bei Feiern habe ich noch immer eine Gitarre dabei. Bei Klinik-Aufenthalten - natürlich!
Aber öffentliche Auftritte schon seit einigen Jahren nicht mehr. Trotzdem nehme ich regelmäßig auf, und veröffentliche Songs (und/oder) Alben usw.
Anfang September 23 kommt die Single BACK TO THE ISLANDS.
Meine Zugriffe auf YouTube und Co - unterirdisch. Und trotzdem höre ich nicht auf damit.
Warum? Musik ist immer noch magisch für mich. Gestern erst saß ich auf der Terrasse mit einer Gitarre in der Hand und habe glaube ich 2 Stunden gespielt und gesungen. Ich habe erst danach gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Balsam für die Seele!
Ich hatte ein paar Situationen in den letzten Jahren, bei denen es sprichwörtlich um Leben und Tod ging. Danach habe ich mir oft gedacht, wenn es schiefgegangen wäre, dann wären meine Lieder auch alle futsch! Deswegen mache ich damit einfach weiter.
Mag sein, dass ich mein treuester Fan bin. Aber es beruhigt mich irgendwie zu wissen, dass meine Musik bleiben wird!
Ich habe das schon ein paarmal geäußert - dass ich Probleme habe unter Menschen zu sein. Ich kämpfe immer mit mir, ob ich da mehr dazu sagen soll - oder nicht. Für jetzt möchte ich nur erklärend dazu sagen, dass ich eine kPTBS und eine kDIS habe (seit frühester Kindheit). Das sind Abkürzungen, die für komplexe PostTraumatischeBelastungsStörung und komplexe DissoziativeIdentitätsStörung stehen. Für jetzt und heute möchte ich nur dazu sagen - wenn es Dich interessiert, dann Google es. Vielleicht finde ich den Mut mehr darüber zu schreiben - aber heute ist nicht dieser Tag!