Provokante Überschrift - gell?

Ja ich weiß für manche bin ich vermutlich immer noch das A...
Aber hey - wir haben ja Meinungsfreiheit.

Mit dem Titel ziele ich aber auf meine Vergangenheit ab. Und es gab eine Zeit da war ich das sprichwörtlich. Und die Grenzen sind in beide Richtungen verflossen.
Zum einen war ich President bei den bösen Buben (Anm. damit war der Rockerclub gemeint - nein die haben nicht böse Buben geheißen). Zum anderen war ich schon seit früher Kindheit beim Roten Kreuz und da im Rettungsdienst unterwegs.
Und irgendwie war ich bei beiden Seiten beides. Immer je nach Situation.
Ein Beispiel:
Für meinen Club war es oft ein Dorn im Auge, dass ich ziemlich oft auch mit der Polizei zusammenarbeiten musste. Das blieb sich nicht aus - denn, wenn wir mit dem Rettungsdienst zu einem Verkehrsunfall gekommen sind, dann muss man zusammentun.
Im Rettungsdienst wurde ich oft ins Büro gebeten und musste mich rechtfertigen, warum ich denn immer noch mit den Rockern rumhänge, und dass das doch ein schlechtes Aushängeschild sei, und in der Öffentlichkeit sicher nicht gut ankäme.
Ich habe damals - zugegebener Maßen im Scherz - oft gesagt, dass es doch aber auch eine super Chance sei für beide Seiten.
Es gab aber auch oft Situationen, wo beide Seiten froh waren, dass ich mit der anderen zu tun hatte.
Zum Beispiel - wenn wir mit dem Rettungswagen gerufen wurden, weil es gerade eine Schlägerei bei einem Motorradtreffen gab. Oh - da war ich natürlich der Held für meine Kollegen, weil ich da gut mit den Leuten konnte, die da halt zwangsläufig mit da standen...
Oder umgedreht - wenn bei der Motorradausfahrt sich einer lang gemacht hat (Anm. damit ist der Sturz mit dem Motorrad gemeint) - dann war ich der Held für die Kumpels, weil ich mich da halt auskannte.

Wenn Du mich kennst, dann weißt Du eh, dass ich schon seit einiger Zeit eine große Sammlung an Krankheiten mit mir herumtrage. Eine davon ist die komplexe PTBS (ich bitte um Verständnis, dass das zu erklären den Rahmen hier sprengen würde).
Ein Auslöser ist eben in diesem Doppel-Leben entstanden.

Es war damals Sommer. Ich habe damals in einer kleinen Stadt gelebt direkt neben der Grenze zur DDR, im letzten Zipfel Bayerns. Unser Club war ziemlich groß damals.
Wir hatten 3 Chapter (Chapter ist sowas ähnliches wie der Ortsverein). Da ich der President vom Gründungschapter war, war ich sowas wie der Häuptling über alle drei.
Wir hatten eine interne Feier. ca 40 km entfernt von daheim. Ich habe dan ganzen Abend mit einem Member (=Mitglied) gequatscht der den Spitznamen Goofy hatte. Goofy war ein ruhiger Typ. Er hatte mit dem Sehen Probleme und deswegen trug er immer eine Brille mit getönten Gläsern. Er fuhr eine 650er Honda. Chopper von der Stange gab es damals eher nicht, deswegen war immer an unseren Kisten alles Mögliche (und unmögliche) verändert. Goofy hatte seine Kiste schon fast komplett zum Chopper umgebaut.
Wir haben die ganze Nacht über dies und das geredet. Was man noch so alles am Moped verändern kann usw. Die anderen haben alle kräftig getankt (=getrunken) ich eher nicht - weil ich noch zurückfahren musste. Denn ich war so schlau mich für einen Sonntagsdienst beim Rettungsdienst einzutragen, obwohl ich wusste, dass ich am Samstag bei dem Treffen(=Party) war. Und weil es ein Tagdienst war, bin ich irgendwann nach 0 Uhr zurückgefahren. Allein. Auf der Heimfahrt wurde ich von der Polizei angehalten. Verkehrskontrolle.... Das war auf der B279 zwischen Untereßfeld und Bad Königshofen, kurz nach der Abfahrt nach Gabolshausen.
Weil es schon spät war, bin ich nicht nach Hause, sondern direkt zur Rettungswache gefahren. Dort habe ich mich rein geschlichen, und auf das Sofa gelegt und gepennt.
Die Tagschicht fing um 6 Uhr an. Mein Kollege hat mich geweckt als er in die Wache kam. Das Ritual war (und ist meines Wissens immer noch so) Rettungswagen checken. Das heißt man schaut nach ob auch alles im Fahrzeug ist, was da sein muss, ob alle Geräte funktionieren, ob auch an der Fahrzeugtechnik alles geht (auch so Kleinigkeiten wie Benzin usw.)
Da ich mich mit dem Kollegen gut verstand, haben wir uns Zeit gelassen mit dem Check und haben dabei viel geredet, Spaß gemacht usw. Dann haben wir uns auf Funk gemeldet. Also wir haben der Rettungsleitstelle gesagt, dass wir im Fahrzeug sind und jederzeit über Funk zu erreichen. Immer wenn ich mit Sven Dienst hatte sind wir zu Dienstbeginn in die Stadt gefahren und haben uns belegte Semmeln beim Metzger geholt, danach dann zum Cafe am Marktplatz - dort haben wir uns an einen Tisch gesetzt - Funk laut gedreht und Cafe getrunken. Es war ein ruhiger Samstagvormittag. Denn wir saßen ewig. Der Funkrufnamen unseres RTW (=Rettungswagen) war 6230 - gesprochen zwoundsechzigdreißig. Ich weiß noch, dass wir noch mitten im Kaffeetrinken waren, als aus dem Lautsprecher des Funkgerätes ertönte: "6230 schwerer Verkehrsunfall B279!". Wir meldeten uns am Funk - und bekamen den Auftrag zurück zum Krankenhaus zu fahren, den Notarzt mitzunehmen und dann auf die B279 Richtung Untereßfeld - Nähe der Abfahrt Gabolshausen - Verkehrsunfall mit Motorradfahrer.
Ich habe Sven gesagt "das ist ja fast Karma - dort wurde ich heute Nacht von der Polizei angehalten!" Sven sagte "Na vielleicht siehst Du ja da jetzt alte Bekannte wieder!" Er meinte die Polizisten, die mich in der Nacht rausgezogen haben.
Die Unfallstelle war tatsächlich exakt da, wo ich in der Nacht kontrolliert wurde. Und als wir näher kamen sah ich schon, dass da viele Brüder vom Club rumstanden. Ich bin dann dort aus dem RTW gesprungen, hab mir den Notfallkoffer geschnappt und bin zum Motorrad gerannt. Ich weiß noch genau - ich kam mir vor, als ob auf einmal alles in Zeitlupe läuft. Wutz und Tony (Mitglieder vom Club) riefen mir zu "Endlich kommst Du!" und dann fiel es mir erst auf. Das Motorrad waren die Überreste von Goofys Maschine. Goofy lag da - ein Arm war abgerissen, der Kopf war gespalten, das Gehirn lag neben ihm.
Ich weiß es nicht warum - aber ich habe den Arm aufgehoben, bin neben Goofy hingekniet, und habe versucht das Hirn wieder in den Kopf zu drücken. Natürlich hätte ich im Normalfall gewusst, dass das gar nichts mehr bringt. Aber irgendwie hatte sich mein Hirn unempfindlich gezeigt für Logik, oder klar denken.
Notarzt, Sven, und einige vom Club haben mich weggezerrt. Die haben mir im Nachhinein gesagt, dass ich mich mit vollem Körpereinsatz gewehrt habe. Und dass ich den Arm von Goofy nicht mehr hergegeben habe. Sven hat mir später mal erzählt, dass der Notarzt mir durch den Kittel zuerst eine Spritze Diazepam (=Valium) gegeben hatte, dass die aber überhaupt keine Wirkung gezeigt habe. Dann hat er auf gleichem Weg mir Dormicum gegeben - und irgendwann seien meine Lichter ausgegangen.
Wach wurde ich im Krankenhaus.
Und auch damals schon war es so, als hätte das Ganze nicht stattgefunden. Mein Kopf hat mir immer wieder gesagt "Hey das hast Du Dir nur eingebildet!" Allerdings hatte ich ja noch meine Rettungsdienstklamotten an (die damals eigentlich weis war) von Kopf bis Fuß blutverschmiert. und da waren dann sofort wieder die Bilder. Bilder wie ich mir selbst zuschaue, wie ich versuche das Hirn wieder in den Kopf zu stopfen. Und wie die zwei Member dastehen und mir zurufen "Endlich kommst Du!" Dann wird auf einmal alles schwarz und still. Dann mach ich die Augen auf und denke "oh das ist nur Einbildung!"

Ich weiß wirklich nicht mehr viel aus meinem Leben. Leider erinnere ich mich nur an die Sachen die richtig Scheiße waren. Sorry für den Ausdruck. Heute werde ich oft gefragt, warum ich denn weg bin von daheim, aus meinem geliebten Bad Königshofen?

Es hat sich alles irgendwie richtig blöde entwickelt. Irgendwie wurde die Gewalt um mich herum immer mehr. Ich behaupte die Gipfel waren ein Beil in meinem linken Fuß. Messer in beide Arme. Pistolenkugel in meinem Bein. Mein bester Freund, der vor meinen Augen mit seinem Moped in ein Auto gerast ist und komplett zerfetzt wurde.
So viel Tot, Gewalt usw. Ich musste weg da.

Heute lebe ich fast 400 km entfernt von meiner Heimat. Ich frage mich oft was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich geblieben wäre. Ich habe mich im Allgäu niedergelassen. Vom Rocker Dasein habe ich mich verabschiedet, als ich hierherkam. Im Rettungsdienst war ich noch viele Jahre weiterhin. Was bedeutete, dass Gewalt und Tot weiter um mich herum waren. Ich habe so viel Sch... gesehen und erlebt.

Was mir erst jetzt bewusst wurde - ich war aber auch schon immer krank. Da gehe ich jetzt noch nicht komplett darauf ein - aber Schmerzen, Verletzungen, Erkrankungen haben mich immer begleitet. Die Medikamente, die ich nahm, um die Schmerzen zu betäuben, wurden immer heftiger. Ich kann mich daran erinnern, dass ich zuletzt mich selbst dabei erwischt habe, dass ich mir zu Dienstbeginn erst mal ne Ampulle Dipi (Betäubungsmittel) gespritzt habe.
Mein Körper hat dabei natürlich immer mehr Macken abbekommen. 2017 ist alles in mir zusammengefallen. Mein Körper hat mir deutlich gezeigt, dass er nicht mehr mitmacht. Und psychisch ging es auch dahin. Als ich nach der X-ten Operation und dem 150. Krankenhausaufenthalt mich selbst umbringen wollte fing ich an Hilfe zu suchen.
Anfangs hieß es naja Burnout. Dann hieß es schwere Depressionen. Und dann nur durch Zufall kam heraus, dass ich eine kPTBS habe.

Für mich war es eigentlich immer so, dass ich dachte, dass es bei jedem Menschen so ist. Für mich war es logisch - keiner erinnert sich an seine Kindheit. Niemand weiß noch so genau, was er in der Jugend gemacht hat. Es ist bestimmt normal, dass man nur Fetzen weiß, und wer kann es mir schon verübeln, dass ich die nicht mehr wissen will? Okay, dass ich jetzt nach einer längeren Autofahrt mich nicht mehr an die Fahrt selbst erinnern kann - das ist vielleicht seltsam, aber hey ist doch nix passiert. Als ich dann eines Tages mit meinem Auto in einem Acker an einem angrenzenden Wald stand und nicht wusste, wie ich da hingekommen bin, und wo ich überhaupt bin, welcher Tag heute ist, usw. da bekam ich Angst. Zu der kPTBS habe ich eine kDIS.

Wir schreiben jetzt das Jahr 2023. Heute ist der 31. Januar. seit 13 Jahren gehe ich mit Gott. Und öfter bekomme ich die Frage "Warum glaubst Du an Gott? Du bist doch das beste Beispiel, dass man nicht an Gott glauben soll!"

Doch - ich finde genau, das ist der Richtige Weg. Das ist das Einzige für mich was zählt: Gott!
Wenn ich Menschen von meiner Vergangenheit erzähle, dann merke ich wie manche die Nase rümpfen. Fast alle Menschen haben sich von mir abgewandt - ich vermute, weil ich mittlerweile körperlich behindert bin, weiß es aber nicht genau warum.
Gott zeigt mir immer, dass er bei mir ist, dass er sich für mich interessiert, und dass es ihm egal ist, was ich mal war - ihn interessiert, nur, wer ich jetzt bin! Ihm ist es egal ob ich einen an der Klatsche habe.
Und - er findet es klasse, wenn ich mir die E Gitarre umhänge und los rocke und Lieder für Gott spiele und singe!
Ja es stimmt er hat mich nicht geheilt.


Noch nicht!