Wie hast Du es auf den Hubschrauber geschafft?

Ich werde immer wieder gefragt wie ausgerechnet ich das geschafft habe auf den Hubschrauber? Okay ich versuche das mal eben "schnell" zu erzählen. Aber damit es eine runde Sache wird, muss ich etwas ausholen:

Ich war noch ein kleiner Steppke und doch schon dabei! Wie konnte das überhaupt gehen? Kinder dürfen doch nicht im Rettungsdienst dabei sein? Ich gestehe - ich habe schon ein paar Jahre auf meinem Lebenstacho - und damals hat man vieles nicht so eng gesehen. Ich war geprägt von einem Unfall, den mein Bruder erlitt. Ich war da nicht nur dabei, sondern aus meiner Sicht auch Schuld daran. Mein Bruder ist ein paar Jahre jünger, wir waren an diesem Schicksalstag mit den Fahrrädern in der Stadt. Und eigentlich hätten wir zum Training im örtlichen Fußballverein gemusst. Da ich die Zeit nicht im Blick hatte, waren wir spät dran. Ich habe meinen Bruder angetrieben schneller zu fahren. Und bei einer Einmündung in eine andere Straße habe ich es gerade noch geschafft, mein Bruder ist genau vor das heranfahrende Auto geradelt. Ich war wie festgenagelt. Mein Bruder schreiend auf der Straße. Der Autofahrer ist einfach im Auto sitzen geblieben und hat nur geschaut. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Dann kam ein Krankenwagen, und zwei Typen mit grauen Uniformen stiegen aus, haben meinen Bruder eingeladen und sind weggefahren. Ich fühlte mich so schlecht. Zum einen, weil ich meinen Bruder so gedrängelt habe, und zum anderen, weil ich wirklich gar nichts machen konnte. Ich stand wie versteinert da und war komplett hilflos. Das wollte ich nicht noch einmal erleben. Also habe ich erspäht, wo die Rettungswache ist. Wochenlang habe ich an einem Zaun beobachtet wie die Sanitäter von Zeit zu Zeit in den Rettungswagen rannten und mit Blaulicht und Martinshorn vom Hof rasten. Ich war komplett elektrisiert. 

Je öfter ich das sah, desto mehr wusste ich: "Da will ich auch mal mitfahren!" Eines Tages habe ich all meinen Mut zusammengenommen. Der Rettungswagen kam gerade zurück zur Wache. Also rauf aufs Fahrrad und genau da hin! Mit großen Augen habe ich beobachtet wie die zwei Männer das Auto ausgeräumt haben und viel Blutverschmiertes Zeug in den Abfall stopften. Die beiden Männer waren nett und haben mir erlaubt, dass ich für die beiden das ganze Zeug sauber machen durfte. 

Im Gegenzug haben die mir erklärt was das alles für Gerätschaften sind. Und wofür man was braucht. Und weil die beiden so nett waren, habe ich von da an jeden Tag geschaut, ob ich helfen darf. Ich weiß wirklich nicht, wie lange das so ging. Auf jeden Fall fragten die beiden mich eines Tages ob ich nicht mal mitfahren möchte. Es war ein Krankentransport - ein alter Mann wurde in einem Altersheim abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. 

Heute haben die Tragen ja immer gleich ein tolles Gestell drunter, mit dem man einen Patienten bequem schieben kann. Damals gab es sowas nicht. Die gute alte Utila Trage musste man wirklich tragen. Also einen Patienten quer durch ein Altersheim tragen, Treppen runter, und letztlich in den Rettungswagen heben - das war durchaus richtig anstrengend. Ich vermute, dass es deswegen gerne gesehen war, wenn ich bei solchen Transporten dabei war und geholfen habe. Ich fühlte mich sowas von wichtig! Lange ging das auch gut, dass in der Zeit, in der wir einen Krankentransport gemacht haben, kein Notfall kam. Aber eines Tages ging es halt schief! Wir kamen von einer Verlegungsfahrt ins mehr als 80 Kilometer entfernte Würzburg zurück. Als wir dann ca. 15 km von Bad Königshofen entfernt waren - es war schon nach 22 Uhr - wurde über Funk gerufen, dass wir zu einem schweren Verkehrsunfall müssten. Ich war da glaube ich 12 Jahre alt. 

Viel weiß ich nicht mehr. Ich weiß, dass wir ankamen und es aussah, wie ich mir ein Schlachtfeld vorstellte. Trümmerteile von einem Auto quer verstreut. Blechteile, Gummiteile, Scherben, Motorteile - ein seltsamer Geruch - eine Mischung aus Öl, Benzin und Blut. Der Rettungswagen stand mitten auf der Straße, der Motor lief das Blaulicht erhellte die ganze Umgebung. Die Kollegen riefen mir zu, dass ich beim Rettungswagen bleiben solle, und rannten zu zwei verletzten Personen, die im angrenzenden Feld lagen. Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt, als eine Frau zu mir gerannt kam und schrie "Jetzt stehen sie nicht rum, da liegt noch einer!" und zog mich am Arm in die andere Richtung. Dort war ein Gehsteig, mit einer hohen Kante. Und genau vor dem Gehsteig mit dem Gesicht vor der Kante, also Ende Straße, lag einer. Der sah so aus, als ob er sich da einfach schlafen gelegt hat. "Jetzt machen Sie schon!" rief die Frau hysterisch.  "Ich brauche Licht!" rief ich und rannte zum Rettungswagen zurück, denn ich wusste, dass da ein Handscheinwerfer zwischen Fahrer- und Beifahrersitz stand. Den holte ich, machte ihn an und drückte ihn der Frau in die Hand. "Hier - leuchten Sie!" Die Frau leuchtete, während ich den Typen auf den Rücken drehte und sofort erschrak. Denn das war Jonas - ein Klassenkamerad! Ihm fehlte die linke Hälfte seines Gesichtes - und wie ich gleich darauf sah - auch sein Gehirn. Die Frau schrie mich immer mehr an, dass ich doch endlich was tun sollte. Ich lehnte mich erst mal an einen Zaun und hab alles, was in meinem Magen war im Schwall über den Zaun gek****. Dann habe ich - angeblich, denn ich weiß das wirklich nicht mehr - ruhig zu der Frau gesagt, dass da nichts mehr zu machen ist, weil das Hirn ja da auf der Straße liegt, und dass sie nicht SIE zu mir sagen solle, weil der Jonas ist, genauso alt wie ich und ist mein Schulkollege!

Was ich noch ganz sicher weiß, ist dass ich am nächsten Tag in der Wache zu mir gekommen bin. Der Wachleiter - Karl Heinz Fuchs - drückte mir eine Tasse Kaffee in die Hand - ich glaube das war mein erster Kaffee in meinem Leben - und redete auf mich ein. Ob ich denn alles gut verdaut habe, und ob ich Probleme habe, weil wenn mir das an die Nieren gehen würde, dann müsste ich noch warten, bis ich wieder mitfahren darf, und wenn es mir aber nichts ausgemacht hat, dann dürfe ich künftig immer mitfahren, wenn ich will. 

 Selbstverständlich habe ich gesagt, dass es mir nichts ausmacht!

Von da an gewöhnte ich mich an solche Situationen. Denn es kam leider relativ oft vor, dass es Tote, Schwerverletzte usw. gab. Je öfter ich dabei war, desto besser lernte ich was zu tun war. Kalle (Karl Heinz Fuchs) zeigte mir immer mehr. Wie man einen Zugang legt, wie man intubiert, usw. Bei manchen Einsätzen, wenn es Schwerverletzte gab, die zum Beispiel nach Würzburg gebracht werden mussten, kam manchmal der Hubschrauber der Amy's DustOff Schweinfurt. Und weil die Amy's kein Deutsch sprachen musste immer jemand von uns mitfliegen. So kam ich zu meinen ersten Hubschrauber-Einsätzen. Und so wuchs auch der Wunsch in mir, dass ich sowas mal beruflich machen will. Aber der Weg dorthin schien nicht möglich für mich zu sein. 

Als ich dann volljährig war, führte ich ein bisschen ein Doppelleben. SIEHE AUCH HIER!

Ich mache einen Zeitsprung. Es ist das Jahr 1992. Ich arbeite als Anästhesiepfleger im Klinikum Großhadern. Einer unserer Oberärzte sprach mich an, denn ich fuhr in meiner Freizeit bei allen möglichen Hilfsorganisationen in München und Kaufbeuren Rettungsdienst. Er sagte, dass er die Leitung auf dem Hubschrauber SAMA SÜD übernimmt, und dass er den wie eine fliegende Intensivstation einrichten möchte. Und weil der normale Rettungsdienstler mit den Gerätschaften überfordert ist, wollte er mich da dabeihaben. Denn er braucht Leute, die Intensiv/Anästhesieerfahrung haben, aber auch den Rettungsdienst kennen, und sich zutrauen das Personal vom Rettungsdienst anzulernen. Ob ich da Interesse hätte?

Ich muss das nicht wirklich schreiben, dass ich sofort dabei war - oder? Genau mein Ding! SAMA SÜD war primär als Intensivtransporthubschrauber gedacht - für Verlegungsflüge von einer Intensivstation zu einer anderen. Da wir aber von Anfang an zwei Piloten hatten und von Anfang an Nachtsichtgeräte, wurden wir auch immer als Rettungshubschrauber eingesetzt. Was für ein genialer Job. Der Hubschrauber stand direkt am Klinikum Großhadern. Die Piloten waren im Klinikum untergebracht, der Arzt auch - ich aber nicht. Ich war an der Wache des ASB untergebracht. Ich hatte einen PKW zur Verfügung gestellt bekommen, mit Aufsteck-Blaulicht und ein Apartment eben über der Rettungswache des ASB. Wenn kein Einsatz war, konnte ich mich frei in München bewegen. Wenn ein Einsatz kam ging mein Piepser, dann ab mit Blaulicht nach Großhadern - in den Hubschrauber hüpfen und los ging es. 

Da ich einer der ersten Rettungsassistenten in Bayern war, und den Vorteil hatte, dass ich nicht fest angestellt war - sondern Freiberufler war, habe ich schnell angefangen mir auch andere Wachen, andere Städte usw. anzuschauen. Ich war immer interessiert an anderen speziellen Einsatzmitteln. Ich habe hier ein paar Beispielbilder auf welchen Systemen ich noch gearbeitet habe: